50 Jahre Willy Brandt "Mehr Demokratie wagen!"

AdsD / Friedrich-Ebert-Stiftung

09. November 2019

Mehr Demokratie wagen! – das forderte Willy Brandt vor 50 Jahren in seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 in Bonn. Er war nur gut vier Jahre im Amt, aber wie kein anderer hat er die Menschen bewegt und aufgefordert politisch tätig zu werden, zum Beispiel die bis dahin in der Politik noch wenig beteiligten Frauen, die 68er und gerade die jungen Leute. Viele sind damals in die Parteien eingetreten, weil sie die Welt verändern wollten. Das und nicht die Aussicht auf eine Partei- oder Politikkariere machte die Parteien attraktiv. Mehr Demokratie wagen bedeutet heute ebenso wie damals, dass viele - und vor allem auch junge Menschen - an der Gestaltung unseres Zusammenlebens mitwirken sollen, auf kommunaler Ebene wie auch in der großen Politik.

Brandts Außenpolitik der Wandel durch Annäherung an das Sowjetreich und der guten Nachbarschaft war - gegen große Widerstände der Konservativen - äußerst erfolgreich und brachte immense Erleichterungen für alle Familien, die durch den Eisernen Vorhang getrennt waren. 20 Jahre später kam die Wende, und es wurde eine Friedensdividende und das "Ende der Geschichte" in Aussicht gestellt. Davon ist keine Rede mehr. Heute wird wieder aufgerüstet. Die "christlichen Parteien" möchten, dass Deutschland mehr für Rüstung ausgibt als das 50-mal größere Russland! Die FAZ schreibt, Deutschland müsse "panzerfitte Autobahnen" in Richtung Osten bauen. Wo bleibt der Aufschrei?

Mehr Demokratie wagen heißt deshalb heute, uns an Wolfgang Borchert zu erinnern und NEIN! zu sagen, wenn sie von uns Aufrüstung verlangen, um Regime-Change-Kriege in aller Welt zu führen. Diese Kriege sind durch das Völkerrecht verboten (Artikel 2 Ziffer 4 der UNO-Charta) und bringen den Ländern millionenfach Tod und Leid. Sie züchten Terrorismus, anstatt ihn zu bekämpfen und verursachen Millionen von Flüchtlingen. Das Völkerrecht, in schmerzvoller Erfahrung aus zwei Weltkriegen geboren, muss hochgehalten werden.

Mehr Demokratie wagen bedeutet, dass wir es unseren Massenmedien nicht durchgehen lassen, wenn sie für Aufrüstung trommeln. Die Medien müssen wieder ihre Rolle als Vierte Gewalt im Staat wahrnehmen: sie sollen kritisch sein und nicht den Reichen und Mächtigen nach dem Mund reden. Sie sollen die Wahrheit sagen und nicht mithelfen uns wieder einmal mit Lügen in den nächsten Krieg zu treiben. Wir müssen einschreiten, wenn die Pressefreiheit zugrunde geht, weil Whistleblower eingesperrt statt ausgezeichnet werden.

Mehr Demokratie wagen heißt auch zu verhindern, dass weitere klimaschädigende Handelsabkommen geschlossen werden, die internationale Konzerne begünstigen und regionale Wirtschaftsstrukturen schwächen. Wir müssen aufstehen, wenn das Recht den Kapitalinteressen untergeordnet wird! Wir wollen nicht wie Frau Merkel 2011 eine "marktkonforme Demokratie", sondern eine "demokratiekonforme Wirtschaft"! Wir akzeptieren nicht, dass jedes fünfte Kind in Deutschland arm ist.

Deshalb nochmal: Mehr Demokratie wagen heißt vor allem: Seine Meinung vertreten und sich beteiligen. Es kann nicht sein, dass zwei Drittel aller Deutschen meinen, dass man seine Meinung nicht mehr öffentlich sagen darf! Warum ist das so wichtig? Weil wir ohne Mobilisierung von Hunderttausenden von Demokraten der Macht des Geldes ausgeliefert sind! Es ist unser Land; es ist unsere Demokratie, für die wir alle Verantwortung tragen. Wir dürfen nicht stumm zulassen, dass unsere "freiheitlich-demokratische Grundordnung" nur noch auf dem Papier besteht. Das Lied Deine Schuld von den Ärzten war noch nie so aktuell wie heute:

Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist.
Es wär‘ nur Deine Schuld, wenn sie so bleibt.
Glaub‘ keinem, der Dir sagt, dass Du nichts verändern kannst.
Die, die das behaupten, haben nur vor Veränderung Angst.
Es sind dieselben, die erklären, es sei gut so, wie es ist.
Und wenn Du etwas ändern willst, dann bist Du automatisch Terrorist.
Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist.
Es wär‘ nur Deine Schuld, wenn sie so bleibt.
Weil jeder, der die Welt nicht ändern will, ihr Todesurteil unterschreibt.

(Aus dem Lied „Deine Schuld“ von 2004. Die Ärzte.)

Hans Grund, 09.11.2019

Teilen